Eine besondere Ausstellungs-Vernissage: Jüdische Biografien – Leidtragende des Holocaust in Ganey Tikva und Bergisch Gladbach-Schildgen
Zwischen dem Gedenken an die Reichspogromnacht 1938 am 09.11. dieses Jahres und dem Gedenken an die Opfer des Holocaust am 26.01.2024, dem Vorabend des internationalen Gedenktags, möchten der Städtepartnerschaft Ganey Tikva – Bergisch Gladbach e.V. und der Himmel un Ääd e.V. den Fokus auf jüdische Schicksale während der Nazi-Diktatur aus Bergisch Gladbach und der israelischen Partnerstadt Ganey Tikva legen.
Eine Fotoausstellung im Ratssaal Bensberg zeigt Opfer, Überlebende und ihre Nachfahren: dazu gehören jüdische Menschen aus Schildgen – Dr. Erich Deutsch und Familie, Dr. Paul Silverberg, Familie Reichenbach, Jascha Lülsdorf/Jacques Lowe – und aus Ganey Tikva – Zwi Herman Eshed und sein Enkel Asif und Familie Levin.
Im Rahmen der Vernissage lernten die Besucher:innen die Lebens- und Familiengeschichten dieser Menschen kennen. In eindrucksvoller Form wurden die Zeitzeugenberichte vorgetragen von Claudia Timpner (Theas-Intendantin, Schauspielerin, Sprecherin und Autorin) und dem Chef des Bensberger Puppenpavillons Gerd Pohl (Schauspieler, Autor, Regisseur und Rezitator).
Das Trio Trezmorim begleitete mit ausdrucksstarker Klezmermusik.
Durch diesen besonderen Abend führte Lutz Urbach, Vorsitzender des Städtepartnerschaftvereins.
Zu Beginn der Veranstaltung wurde im Rahmen einer Schweigeminute der Opfer des Terroranschlags der Hamas gedacht.
Die Fotoausstellung im Ratssaal Bensberg (Wilhelm-Wagener-Platz) ist noch bis zum 08.12.2023 zu sehen.
Öffnungszeiten montags bis freitags 10.00 bis 12.30 Uhr.
Stellvertretend berichtet hier
Dr. Erich Deutsch aus Schildgen („seinen“ Stolperstein und die Erinnerungsstele an ihn finden wir an der Parkplatzausfahrt von EDEKA und Kreissparkasse)
Guten Abend, mein Name ist Erich Deutsch. Ich wurde am 14. Juli 1877 in Berlin in eine jüdische Fabrikantenfamilie hineingeboren, meine Eltern waren Maria und Louis Deutsch.
Wenn ich zurückblicken, dann kann ich sagen, dass meine Kindheit unbeschwert war, meiner Familie ging es finanziell sehr gut, ich bin gerne zur Schule gegangen und war so erfolgreich, dass ich nach meinem Abschluss Medizin studiert und promoviert habe. Ab 1903 habe ich als Landarzt im beschaulichen Rudow bei Berlin praktiziert. Weil ich mir eine gesicherte Existenz aufbauen konnte, habe ich schließlich meiner Marie einen Heiratsantrag gemacht. 1903 haben wir dann auch gleich geheiratet. Marie stammte aus einer Kunsthändlerfamilie und war evangelisch. Weil mir mein jüdischer Glaube nicht allzu viel bedeutete, fiel es mir leicht, aus Liebe zu Marie den evangelischen Glauben anzunehmen.
1905 erblickte unsere Tochter Ilse das Licht der Welt. Wir drei führten ein glückliches Leben, wir hatten Freunde und Ansehen in der Gesellschaft. Politisch stand ich hinter der Regierung und war ein richtiger Patriot. Während des ersten Weltkriegs habe ich sogar freiwillig im Lazarett gedient und für meinen Dienst das Eiserne Kreuz Erster Klasse erhalten. Diese Auszeichnung hat mir sehr viel bedeutet.
Später sind wir dann nach Wanne-Eickel umgesiedelt. Das hat meiner Karriere als Arzt gutgetan. Ich war zunächst Knappschaftsarzt, dann Amtsarzt und später Medizinalrat. Es war eine gute Zeit. Ich erinnere mich noch gerne an den Wohlstand, der uns Sicherheit gegeben hat, an den Rückhalt in der bürgerlichen Oberschicht und unser Engagement in Politik und Kultur. Ich habe mich der rechtsliberalen Deutschen Volks-partei angeschlossen, um meinem Land noch besser dienen zu können.
Ja, und dann kamen die Nationalsozialisten an die Macht. Seit dem 30. Januar 1933 änderte sich meine Welt, nein, zerbrach meine Welt mehr und mehr in kleinste Scher-ben. Im gleichen Jahr ereilte mich das Berufsverbot als Stadtmedizinalrat. Alle unsere Freunde und Bekannten begannen, uns mehr und mehr zu meiden. Wir wurden belästigt, auf unser Haus wurde geschossen. Zum Freiwild wurden wir erklärt, mit Juden konnte man ja ab da machen, was man wollte. Schließlich wurde ich in ein Konzentrationslager der SA in Bochum verschleppt und verhört. Über diese Zeit kann ich nicht sprechen, es war zu schrecklich und entwürdi-gend. – Ich weiß nicht, wie es kam, aber sie ließen mich irgendwann frei, und sofort nahm ich die Beine in die Hand und zog mit meiner Familie fort – nach Aachen. Das war im Herbst 1933. Wegen der antijüdischen Gesetze konnte ich nur eine Privatpraxis eröffnen. Ich war fremd in Aachen und zudem ein Jude. Sie können sich vorstellen, dass die Patienten rar waren und die Praxis sich nicht lohnte.
Ein Jahr später zogen wir auf einen Bauernhof in Ruppichteroth im Oberbergischen. Dort betrieb ich ein kleines Sanatorium für Privatpatienten und war endlich wieder erfolgreich. Patienten kamen und suchten Genesung in meinem Haus. Unsere Lage entspannte sich finanziell, und auch gesellschaftlich ging es wieder in normalen Bahnen. Auf dem Land wurden wir kaum angefeindet.
Jedoch, das kleine Glück war wieder einmal begrenzt und endete 1935 mit dem Entzug der Approbation. Wieder stand ich vor dem Nichts. 1936 wechselten wir nach Schildgen, wo wir uns in einem kleinen Haus mit Obstgarten durchschlugen. Naturalientausch war angesagt. Die Schildgener waren freundlich zu uns und behandelten uns wie eine normale Familie. Das ging ein paar Jahre gut, aber am 1. Juni 1941 wurden wir noch einmal zwangsumgesiedelt und in das „Judenhaus“ in der Paffrather Straße gebracht. Dort lebten wir im Elend, bis wir lernen mussten, dass es noch schlimmer kommen würde: Ende 1943 gab es eine Zwangsumsiedlung hierher, in eine Baracke am Ahornweg.
In der ganzen Zeit blieb unsere Tochter Ilse treu an unserer Seite. Sie durfte nicht mehr als Lehrerin arbeiten, kam aus der Sicherheit in England zurück zu uns, heiratete Kurt Edelmann illegal, denn er war „Arier“. Ilse hat immer irgendwie eine Anstellung erhalten oder Gelegenheitsarbeiten ergattert. Damit hat sie uns durchgebracht. Am 1. Dezember 1943 schenkte Ilse hier in der windigen Baracke der kleinen Ursula das Leben. Seitdem sind wir zu viert, denn Kurt ist ja im Krieg. Gestern wurde uns mitgeteilt, dass wie in ein Lager nach Köln-Mülheim transportiert werden. Wann enden diese Umzüge endlich? Wann sind wir am Ziel? Wann ist dieser grausame Spuk zu Ende? Wann haben wir wieder ein lebenswertes Leben? Welche Zukunft hat die kleine Ursula?
Die Familie Deutsch wird tatsächlich in ein Sammel- und Selektionslager nach Köln-Müngersdorf verschleppt. Am 23.09.1944 findet dort eine sogenannte Selektion statt, Dr. Erich Deutsch wird der Gruppe der „Volljuden“ zugeordnet und vom Bahnhof Köln Deutz-Tief ins Ghetto nach Theresienstadt deportiert. Am 04.10.1944 wird er dort auf dem Hof der Kleinen Festung mit Stöcken und einer Eisenstange misshandelt. Er erliegt den Verletzungen am folgenden Tag. Kurt Edelmann stirbt 1946 im Kriegsgefangenenlager.
Marie Deutsch, Ilse und Ursula Edelmann überleben den Krieg, entkommen der Verfolgung und beziehen in Bergisch Gladbach eine Wohnung an der Paffrather Straße. Ilse findet eine Anstellung als Lehrerin der Volksschule in Hand, sie engagiert sich politisch und gesellschaftlich, um Verantwortung für ein demokratisches und rechtsstaatliches Deutschland zu übernehmen. 1946 tritt sie in die SPD ein und startet damit eine politische Karriere als die „Grande Dame“ der Bergisch Gladbacher SPD.
Ihre Tochter Ursula lebt heute in Paffrath und engagiert sich ehrenamtlich nicht nur im Begegnungscafé Himmel und Ääd in Schildgen. Es ist gut zu hören, dass Neues und Gutes entstehen konnte, trotz all dem erlittenen Unrecht und Leid.
Begleitbroschüre
Die Lebensgeschichten und Schicksale der vorgestellten Menschen sind auch in einer begleitenden Broschüre dokumentiert, die im Himmel und Ääd-Café und beim Städtepartnerschaftverein gegen Spende erworben werden kann.
Fotos: Philipp J. Bösel


















































































